Die Klägerin nahm als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagten gemäß § 110 Absatz 1 SGB VII auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr durch einen Arbeitsunfall eines Arbeitnehmers entstanden waren.
Die Beklagte zu 1 war Inhaberin eines Malerbetriebes. Der Beklagte zu 2, ihr Ehemann, war dort als Malermeister und Bauleiter tätig.
Ein bei der Beklagten zu 1 als Maler angestellter Mitarbeiter erlitt auf einer Baustelle einen Arbeitsunfall, als er in einem Treppenhaus, in dem Treppengeländer nicht vorhanden waren und eine Absturzsicherung fehlte, seitlich von der - vom Podest aus gesehen - dritten Stufe von unten auf das Podest stürzte und sich erheblich an den Armen verletzte.
Das Berufungsgericht hatte einen Erstattungsanspruch aus § 110 Absatz 1 SGB VII verneint. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Beklagten den Versicherungsfall verursacht hätten. Zwar habe der Geschädigte unstreitig einen Arbeitsunfall erlitten, als er seitlich von der Treppe gestürzt sei. Zu diesem Zeitpunkt seien die Treppengeländer abgebaut gewesen, eine seitliche Absturzsicherung sei von den Beklagten nicht installiert worden. Doch könne nicht festgestellt werden, dass der Unfall durch eine Verletzung einer Unfallverhütungsvorschrift verursacht worden sei. Nach § 12 Absatz 1 Nr. 2 BGV C 22 "Bauarbeiten" müssten Einrichtungen, die ein Abstürzen von Personen verhindern (Absturzsicherungen), bei mehr als 1 m Absturzhöhe an freiliegenden Treppenläufen und Absätzen vorhanden sein.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich der Unfall aber ereignet, als der Geschädigte auf der dritten Treppenstufe gewesen sei, die ungefähr eine Höhe von 50 cm habe. Bei dieser Höhe sei eine Absturzsicherung nicht erforderlich.
Aber auch, wenn man mit der Klägerin den Treppenaufgang als Ganzes betrachte und davon ausgehe, dass die Treppe insgesamt von der ersten bis zur letzten Stufe hätte gesichert werden müssen, lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagten grob fahrlässig gehandelt hätten. Denn nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften sei als grob fahrlässig zu werten.
Zwar bezweckten die in der hier einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift vorgeschriebenen Maßnahmen, die die Beklagten bezogen auf den gesamten Treppenaufgang unterlassen hätten, den Schutz vor einem tödlichen Absturz. Das Fehlen der Absturzsicherung habe sich indessen hier nicht ausgewirkt, weil die Beklagten auch eine Absturzsicherung hätten anbringen können, die einen Meter über dem Treppenpodestboden geendet hätte. Bei normgerechtem Verhalten wäre der Unfall somit ebenfalls passiert.
Der BGH lehnte einen Regressanspruch der Klägerin mit den vorgenannten Erwägungen ebenfalls ab und erläuterte die Rechtslage ergänzend wie folgt:
Nach § 110 Absatz 1 Satz 1 SGB VII haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.
Das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII bezweckt zum einen, mit der aus den Beiträgen der Unternehmer finanzierten, verschuldensunabhängigen Unfallfürsorge die zivilrechtliche auf Verschulden gestützte Haftung der Unternehmer abzulösen, indem sie über die Berufsgenossenschaften von allen dazugehörigen Unternehmen gemeinschaftlich getragen und damit für den jeweils betroffenen Unternehmer kalkulierbar wird. Sie dient dem Unternehmer als Ausgleich für die allein von ihm getragene Beitragslast.
Zum andern soll mit ihr der Betriebsfrieden im Unternehmen zwischen diesem und den Beschäftigten sowie den Beschäftigten untereinander gewahrt werden. Dem liegt zugleich die Überlegung zugrunde, dass das Zusammenwirken im Betrieb je nach den daraus drohenden Gefahren leicht zu Schädigungen führen kann, sodass eine Haftung des Schädigers in der Regel als unbillig erscheint und nur dann Platz greifen soll, wenn ihn ein besonders schwerer Vorwurf trifft und deshalb eine Belastung der Versichertengemeinschaft nicht mehr vertretbar erscheint.
Um die einer Berufsgenossenschaft angehörenden Unternehmen nicht über Gebühr zu belasten, hat der Gesetzgeber den Sozialversicherungsträgern einen Rückgriffsanspruch eingeräumt, weil diese dann für ihre Aufwendungen zulasten des verantwortlichen Schädigers (sei es der Unternehmer, sei es der Arbeitskollege) schadlos gestellt werden sollen, wenn der an sich nach den §§ 104 ff. SGB VII Haftungsprivilegierte den Unfall durch ein besonders zu missbilligendes Verhalten herbeigeführt hat.
Bei einem solchen Verhalten sind neben dem das Schadensrecht beherrschenden Ausgleichsgedanken auch präventive und erzieherische Gründe zu berücksichtigen.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet.
Grobe Fahrlässigkeit lässt sich daher nicht allein mit der Verletzung der geltenden Unfallverhütungsvorschriften begründen. Nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften ist schon als ein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne des § 110 SGB VII zu werten. Vielmehr ist auch dann, wenn solche Verstöße gegen Sorgfaltsgebote vorliegen, eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten, in die auch die weiteren Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. So kommt es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat. Auch spielt insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht haben, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist.
Nach diesen Grundsätzen hatten die Beklagten den Versicherungsfall nach Überzeugung des BGH nicht grob fahrlässig herbeigeführt.
Tel.: 09565 61 08 45
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